Geschichte des Aikikai Deutschland e.V.
Wie Aikido in Deutschland begann und der Aikikai sich entwickelte von Dr. Leisinger, Ehrenpräsident des Aikikai Deutschland e.V.
Inhaltsverzeichnis
- Vorläufer
- Erstes Training
- Die Entwicklung in den ersten Jahren
- Intrigen und der Weg zur Gründung des ersten eigenständigen Aikidoverbandes in Deutschland
- Vom Spaltungsvirus
- Herausragende Ereignisse im Aikikai Deutschland e.V.
- Die Routine
- Der Ausblick
1. Vorläufer
Ohne Zweifel haben die Kriege in Europa und im Pazifik die Verbreitung des Aikido um vielleicht 20 Jahre
verzögert. Nach diesen schrecklichen Ereignissen in Japan und Europa hatten die Menschen dort andere Sorgen,
als die Verbreitung in ferne Länder oder Unterrichtung einer neuen Budo-Disziplin. Darüber hinaus war bis
1949 in Japan die Ausübung jeglicher Budoarten von den US-Besatzern verboten gewesen. Besonders in Deutschland
litt die Bevölkerung unter Hunger und Arbeitslosigkeit. Straßen und Gebäude waren durch den Bombenkrieg
ausradiert. Die Menschen lebten zusammengepfercht, nur um ein Dach über dem Kopf zu haben. Es war überhaupt
nicht daran zu denken, ein Dojo oder eine Mehrzweckhalle zu bauen, um darin Aikido zu lehren und zu üben.
In Frankreich entwickelte sich Aikido zuerst. Bereits in den fünfziger Jahren tummelte sich dort ein bunter
Zoo verschiedener Arten von Aikido (heute wird das mit dem neudeutschen Wort "multi-style-Aikido" bezeichnet):
Aikijutsu, Aikibudo, Yoshinkan Aikido u.s.w., und - last not least - Aikikai Aikido. Verschiedene Namen
beanspruchten Führerschaft. Es ist nicht sinnvoll, sie alle zu nennen. Möglicherweise vergesse ich ein oder
zwei. Überdies ist das wohl ein Problem der Franzosen und kein deutsches.
Als ich in Hamburg studierte, lernte ich Judo kennen, das man an der Universität ausüben konnte. Mein erster
Judo-Lehrer war ein Mann, der zu dieser Zeit Judo bereits auf kommerzieller Basis unterrichtete. Sein Name ist
Hölzel. Eines Tages (1954) standen wir unter der Dusche und er berichtete den anwesenden Mitduschern, dass er
in die Schweiz reisen wolle. Dort würde ein neuer Judo-Typ gezeigt und unterrichtet. Wir baten ihn, eine dieser
neuen Techniken zu zeigen. Was er zeigte, würde ich heute als Ikkyo identifizieren. Der Lehrer in der Schweiz
war der Franzose André Noquet, ein Mann der später auch in Deutschland eine gewisse Rolle spielen sollte. Nach
Beendigung meines Studiums verlor ich Hölzel aus den Augen, da ich den Wohnort wechselte. Auch später, als ich
Aikido zu praktizieren begann, sah ich ihn nicht wieder.
Anfang der sechziger Jahre trainierte ich Judo in Münster. Die dortigen Judoleute bekamen Verbindung mit einem
Judoclub in Chenneviéres sur Marne nahe Paris. Wir begannen uns jedes Jahr alternativ an beiden Orten zu
besuchen. Wenn wir in Frankreich waren, bekamen wir auch Aikido vorgeführt, denn der Professeur in
Chenneviéres praktizierte auch Aikido. Einmal waren wir in Paris in einem Dojo in demselben Haus, in dem auch
das Olympiatheater ist, in dem Jazz- und Chanson-Darbietungen gegeben wurden, die auch zuweilen im deutschen
Fernsehen zu sehen waren. Wir waren sehr beeindruckt, und so beschlossen wir, Aikido zu lernen.
Aber wo sollten wir einen Aikidolehrer finden? Zuerst lernten wir einen jungen Japaner namens Kimura kennen,
der 3. Dan im Judo war, der uns einige Aikido-Techniken lehrte. Wir begannen Irimi-Nage, Shiho-Nage und Ikkyo
zu üben. Es war eine begrenzte Auswahl. Kimura verschwand irgendwann nach einigen Wochen. Auch andere Judoclubs
in Deutschland wollten von ihm Aikido lernen, und sie bezahlten besser. Aber das dauerte nicht lange. Er setzte
sich bald nach Japan ab, nachdem das Finanzamt von ihm Kenntnis bekam. Er verdiente einiges Geld in Deutschland,
bezahlte aber nie Steuern.
Mittlerweile bekamen die Judoleute in Münster über einen Herrn Scholz, der ein Judoka war, aber auch 2. Dan im
Aikido, Kontakt mit dem Honbu Dojo in Tokyo. Herr Scholz hatte einen japanischen Vater und war nach Japan
übergesiedelt. Eine zweite Verbindung erhielten die Münsteraner Judoleute über ein früheres Mitglied der
Judoabteilung im PSV Münster, Dr. Karl Freygang, der die pharmazeutische Firma Böhringer in Kobe repräsentierte.
Mit Hilfe der beiden Kontaktpersonen präsentierte das Honbu Dojo erst einen jungen Japaner, der willens war, für
eine begrenzte Zeit nach Deutschland zu kommen, um Aikido zu lehren. Aber kurze Zeit später widerrief er sein
Angebot aus beruflichen Gründen. Ein anderer junger Japaner wurde präsentiert: Katsuaki Asai. Und dieser Mann
erwies sich als das Glückslos für die Entwicklung des Aikido in Deutschland.
2. Erstes Training
Asai Sensei benutzte verschiedene Transportmittel auf seiner Reise von Japan nach Deutschland. Zuerst ein Schiff,
um über das Japanische Meer in die Sowjetunion zu gelangen. Danach ein Flugzeug für die größte Distanz nach
Moskau und dann mit der Bahn weiter durch die Sowjetunion, Polen, Deutsche Demokratische Republik und
Bundesrepublik nach Münster in Westfalen. Er stieg aus, und der Zug entschwand. Keiner war zu sehen, der ihn
abholen wollte. Auf diese Weise machte Asai Sensei gleich am Anfang mit einem für Japaner befremdlichen
(und eigentlich auch nicht deutschen) Verhalten einiger Europäer Bekanntschaft: Der Unpünktlichkeit. Der
frühere Abteilungsleiter der Judoabteilung im PSV Münster, der ihn abholen sollte, hatte seinen Lebensstil den
Objekten seiner Arbeit - Pflanzen - angepasst. Aber auch später traf er viele Leute, die fünf Minuten sagen,
wenn sie 20 meinen. Zum Glück ging nicht gleich ein Zug in die Gegenrichtung, so dass Asai Sensei schließlich
doch noch seine Kontaktperson fand. Einen Tag später begann das erste Training unter seiner Leitung. Es war
der 22. Oktober 1965.
Judo existierte damals als Abteilung des Polizeisportvereins Münster e.V. Dieser Verein hatte gute Beziehungen
zur Polizeischule in Münster, wo ein Dojo zur Ausbildung der Polizisten in Selbstverteidigung existiert. Der
Direktor der Polizeischule war gleichzeitig auch 1. Vorsitzer des PSV Münster. Deswegen konnten die Judo und
Aikido Ausübenden abends und an Wochenenden das Dojo zum Training benutzen. Damals waren die Matten mit einer
blauen Plastikplane überzogen, die sich nach und nach dehnte, so dass sie von Zeit zu Zeit glatt gezogen werden
musste, wenn man nicht über Falten stolpern wollte. Besonders im Sommer bei warmem Wetter klebten die Füße gut
auf der Plastikplane. Bei vielen Bewegungen erwies sich das als Hemmnis, aber das konnte unseren anfänglichen
Enthusiasmus nicht bremsen.
Obwohl einige von uns bereits viele Jahre Judo betrieben, begann an diesem Tage eine neue Art der Bewegungen.
Wir waren alle wieder Anfänger. Ich sehe noch immer die runden Augen, die Asai Sensei ob unserer Unbeholfenheit
machte. Asai Sensei war damals 23 Jahre alt und hatte eine bewundernswerte Kondition. Er fühlte sich fit, und
so hatten wir auch zu sein. Oft signalisierte das Gehirn "stopp", aber Asai Sensei sagte "weiter". Er konnte
damals nicht verstehen, warum wir so früh das Handtuch warfen. Sein beliebtester Spruch war: "Aufgeben ist das Einfachste".
3. Die Entwicklung in den ersten Jahren
Den ersten Aikidounterricht gab Asai Sensei in Münster nur im Dojo der Polizeischule. Wir verbreiteten unter
vielen Judo-Trainingsgemeinschaften und -Landesverbänden, dass ein kompetenter und qualifizierter Aikidolehrer
in Münster lebte und bereit war, anderswo Aikido zu lehren. Und die Resonanz ließ nicht lange auf sich warten.
Verschiedene Trainingsgemeinschaften wollten Asai Sensei als Lehrer haben. Trainingsgemeinschaften aus Reinbek
nahe Hamburg, Osnabrück und Bonn engagierten ihn zu erst. Andere kamen und gingen, aber nichts desto trotz,
die Schülerzahl von Asai Sensei wuchs stetig.
1966 gelang es Asai Sensei, Tada Sensei, der damals in Italien lebte und den Aikikai d´Italia aufbaute, zu
einem Wochenendlehrgang nach Münster zu verpflichten. Dieser Lehrgang zog natürlich viele Aikido Ausübende an.
Vor Journalisten und einer ausgewählten Zahl von Zuschauern - der Saal der Vorführung war relativ klein - gaben
Tada und Asai Sensei eine Vorführung, welche die eindrucksvollste war, die ich je gesehen habe. In Asai Sensei
hatte Tada Sensei auch einen Uke, der wie kein anderer fallen konnte. Und so flog Asai Sensei wie ein
weggeworfenes Kleiderbündel durch die Luft. Es ist ein Jammer, aber kein Film dieses bemerkenswerten Ereignisses
existiert. Aikido ist wie Musik. Die wunderbarsten Aufführungen sind unwiederbringlich verloren, wenn keine
Aufnahme gemacht wird.
Auf Grund einer Einladung vom Leiter der Judoabteilung des PSV Münster, Willi Hatt, fanden Verhandlungen mit
dem Deutschen Judo Bund (DJB) im Winter 1966/1967 in Münster statt. Anwesend waren als Beauftragte des DJB,
Herr Heim (eigentlich ein Ju-Jutsu-Mann) und Rolf Brand sowie Asai Sensei, Gerd Wischnewski, Willi Hatt und
Dr. Leisinger. Das Ziel der Verhandlungen war die Bildung einer Aikido Sektion unter dem Dach des DJB. Es wurde
sehr schnell die strategische Linie des DJB klar:
Der DJB wollte die juristische Zuständigkeit über das Aikido. Das bedeutete, Aikido konnte nicht seinen eigenen
Vorstellungen und Gesetzen folgen. Alles, was Techniken und Graduierungen, nationale und internationale
Repräsentation betrifft, war Angelegenheit des DJB. Man kann natürlich fragen, warum will ein für Judo
zuständiger Verband sich eine andere Budo-Disziplin einverleiben? Die Antwort ergibt sich aus der Situation des
DJB jener Jahre. Die Mitgliederzahlen des DJB damals pendelten um 100.000. Für den Zufluss der Geldmittel vom
Bundesinnenministerium und dem Deutschen Sportbund (DSB) und für die Bezahlung eines Sportdirektors durch das
Bundesinnenministerium war das die magische Zahl. Verglichen mit anderen Sportbünden, etwa dem Deutschen
Fußballbund mit seinen Millionen Mitgliedern, war (und ist) der DJB ein Leichtgewicht. Der DJB sah in der
Einverleibung aller Budo-Disziplinen eine Möglichkeit, die Mitgliederzahlen über der magischen Grenze zu
stabilisieren. Dieses Bestreben fand erst nach der deutschen Wiedervereinigung ein Ende. Jetzt fühlt sich der
DJB wieder allein für Judo zuständig, wie es vernünftig ist. Der "Budo-Krämerladen" in Westdeutschland löste
sich auf und die verschiedenen Sektionen mussten andere Repräsentationen finden. Aus der Sicht des Aikido ist
diese Haltung des ehemaligen West-DJB einer der Gründe für die Spaltung der Aikido-Szene in so viele Verbände.
Um die überwältigende fachliche Kompetenz Asai Senseis zu kompensieren, präsentierte der DJB einen deutschen
Aikidolehrer (divide et impera!), der bei O`Sensei einige Jahre in Tokyo trainiert hatte:
Gerd Wischnewski. Er kam im November 1965 zurück nach Deutschland. Er kam einen Monat später als Asai Sensei
nach Deutschland, und nicht später, wie man in einigen Büchern und Lexiken, die sich an den ehemaligen
Propagandaschriften des DJB orientierten, lesen kann (z.B. Weinmann: Das Aikidobrevier, Verlag Weinmann,
Berlin, 1983, ISBN 3878920458 - W. Lind; Ostasiatische Kampfkünste, Das Lexikon, Sportverlag, Berlin, 1996,
ISBN 4328006990). Er konnte zwar mit seinem 2. Dan in der Rangordnung mit Asai Sensei (damals 4. Dan) nicht
mithalten, das hinderte die Propagandisten des DJB aber keineswegs daran, ihn als - mindestens - gleichwertig
zu verkaufen. So hörte man damals von vollständig inkompetenten Leuten die lachhafte Meinung: "Er
(Gerd Wischnewski) ist zwar nur ein 2. Dan, aber er ist so gut wie ein 4. Dan". Schade, Gerd Wischnewski traf
die falsche Wahl, indem er den Verbands-Politikern des DJB folgte. In den folgenden Jahren wurde er von Ihnen
zermahlen. Er gab Aikido vollständig auf. Keiner von den jungen Aikidoleuten kennt ihn noch.
Obwohl die zuvor geschilderte Strategie anfangs keineswegs zu durchschauen war, wurde sie in den folgenden
Monaten nach den Verhandlungen immer klarer. Süddeutschland war dem Unterricht durch Asai Sensei verschlossen.
Wenn eine Trainingsgemeinschaft im DJB Asai Sensei als Lehrer im Programm aufzunehmen wünschte, intervenierte
der DJB, Wischnewski zu nehmen. Die Konsequenz der Anhänger Asai Senseis war die Bildung eines eigenen
Aikido-Verbandes mit dem Namen zunächst als "Aikikai Deutschland", der 1967 beim Amtsgericht Münster
eingetragen wurde. Später wurde dem Namen noch der Nachtrag "Fachverband für Aikido" hinzugefügt, um die
Verbindung für des Japanischen Unkundige mit der Budo-Disziplin klar zu machen.
Die Zahl der Mitglieder wuchs, besonders in Nordrhein-Westfalen. Asai Sensei sorgte für attraktive
Lehrgangsangebote, indem er viele Male Tada Sensei, der damals in Italien lebte, Tamura Sensei, der aus
Südfrankreich kam, und Noro Sensei, der damals und heute in Paris lebte und lebt, zu Lehrgängen einlud.
Besonders Noro Sensei hatte einen großen Einfluss auf die frühe Entwicklung des Aikido in Deutschland. Er
unterrichtete nicht nur die deutschen Anfänger, sondern nahm auch Einfluss auf die weitere Entwicklung Asai
Senseis. Ihre Freundschaft hielt bis auf den heutigen Tag. Sommer- und Winterlehrgänge von Wochendauer wurden
angeboten. In den ersten Jahren hatte Asai Sensei noch die Idee, nach zwei bis drei Jahren nach Japan
zurückzukehren. So unterrichtete er einen "Kader" sehr hart, um nach seiner Rückkehr nach Japan eine kompetente
Mannschaft zu hinterlassen, die Aikido verbreiten könnte. Das Training ähnelte in manchen Zügen einer
Rekrutenausbildung. Aber seine persönliche Entwicklung lief doch in einer anderen Richtung.
Einigen Judoleuten erschien die eigenständige Entwicklung des Aikido unerträglich. Verschiedene Vorschläge
erschienen auf dem Markt, um Aikikai Aikido wieder in den Schoss der heiligen Mutter DJB zurück zu führen.
Die Vorschläge waren allesamt inakzeptabel, manchmal eher komisch und überkonstruiert. Überdies wollten alle
die Personen, die mit solchen Vorschlägen überkamen, natürlich "Pöstchen", um ihre eigene Bedeutung innerhalb
des DJB aufzuwerten.
Der Bruch mit dem DJB war längst vollzogen. Die Reaktion des DJB vollzog sich nach folgendem Muster: Die
Funktionäre des DJB nahmen Einfluss auf die Trainingsgemeinschaften, deren Judoabteilungen im DJB organisiert
waren und auf die sie einwirken konnten. Die Aikidoleute sollten sich von Asai Sensei trennen. Bei einigen
waren die Pressionen der dort dominierenden Judoabteilungen und der Vereinsvorstände, die um ihre Pfründe und
finanziellen Zuwendungen fürchteten, so groß, dass das gelang. Beim PSV Münster kreuzte der Vorstand beim
Training mit Asai Sensei auf und stellte die Mitglieder der Aikidoabteilung vor die Wahl, entweder Asai Sensei
als Aikidolehrer zu verlassen oder nicht mehr im Verein Aikido trainieren zu können. Vor Augen der Vereinsoberen
wechselten alle Anwesenden zu Asai Sensei. Der Vorstand hatte sich zwar durchgesetzt, aber der Verein verlor
alle Aikido betreibenden Mitglieder.
4. Intrigen und der Weg zur Gründung des ersten eigenständigen Aikidoverbandes in Deutschland
Das Komplott gegen Asai Sensei zeigte alle Ingredienzien einer Intrige, wie man es von Theaterstücken her kennt.
Es gibt einen Urheber, Verräter und dumme Leute, die sich beim Erscheinen einer neuen Denkart, in diesem Fall
eines neuen "Sports", mit anderen Regeln, gestört fühlen. Ich habe immer noch im Ohr, wie ein Vorstandmitglied
des PSV Münster, ein intellektueller Leichtmatrose, sich eruptionsartig über das von uns benutze Wort "Aikikai"
erregte: "Aikikai - Aikikai, was heißt das?"
Aber jede Aktion hat ihre Reaktion. Die Schüler von Asai Sensei waren nun gezwungen, sich ihre eigene
Organisation aufzubauen. In Münster wurde 1967 als eingetragener Verein der Aikikai Münster gegründet. Er
existiert heute noch. In den ersten Wochen trainierten seine Mitglieder ohne Matten. Vom Stadtsportamt, das das
Vorgehen des Vorstandes vom PSV-Münster missbilligte, wurden ihnen eine Gymnastikhalle in der Albert Schweitzer
Schule in Münster zur Benutzung zugewiesen, die in ihrer Größe gut einem Dojo angepasst war. Der einzige
Nachteil war die periphere Lage. Aber sehr bald kam der Entschluss, ein eigenes Dojo zu bauen. In Münster
(aber anderswo auch nicht) läuft nichts ohne Beziehungen. Und hier war die Aikido-Mannschaft gut ausgestattet.
Das neue Dojo wurde in einer Holzhandlung gefunden. Ein aufgegebenes Lagerhaus wurde über vielen Stunden in
Eigenhilfe zu einem wunderbaren Dojo ausgebaut.
Die Offensive gegen das Aikikai Aikido verlief nach der gleichen Taktik auch anderswo.
Viele Trainingsgemeinschaften in Vereinen, in denen starke Judoabteilungen Einfluss auf die Vereinsleitung
hatten, berichteten von Schwierigkeiten, das Training mit Asai Sensei fortzusetzen. Wie in Münster, so auch
anderswo, war der einzige gangbare Weg die Bildung unabhängiger Trainingsgemeinschaften. In vielen Fällen
bedeutete das finanzielle Opfer. Aber es gab auch Fälle, in denen die Vereinsvorstände nicht so engstirnig
handelten. Überdies stieß vielen Vereinsoberen die Einmischung eines Fachverbandes doch sauer auf. Hier
konnten die Schüler von Asai Sensei ihren Weg fortsetzen. Der DJB entsandte auch eine Delegation nach Tokyo
zum Honbu Dojo, um die offizielle Repräsentation für Aikido in Deutschland zu erlangen. Das musste natürlich
scheitern. In ihrer überheblichen Art erkannten die Verbandsfunktionäre des DJB natürlich nicht, dass das
Honbu Dojo in keiner Weise ein Stückchen Macht über das Aikido delegieren würde. Darüber hinaus hätte das
Honbu Dojo niemals zugestimmt, dass andere Personen, als ihre Shihan, im Aikikai Aikido das Graduierungsrecht
bekommen hätten. Der Druck des DJB hörte aber nicht auf, so dass sich das Honbu Dojo gezwungen sah, dem DJB
in ziemlich unverblümter Art (was eigentlich nicht gerade japanischer Stil ist) eine Absage zu erteilen:
"We have now heard enough about how powerfull your federation is..." Jetzt verstanden auch die DJB Funktionäre
die Unmöglichkeiten mit dem Honbu Dojo "einen deal" zu machen.
Nach vielen Diskussionen über die Formulierung einer Satzung wurde ein deutscher Aikidoverband 1967 beim
Amtsgericht Münster eingetragen. Was eigentlich von Anfang an in Deutschland existierte, bekam hiermit eine
legale Form. Das erste Präsidium war:
Präsident: Dr. Karl-Friedrich Leisinger,
Vizepräsident: Dr. Albin Mock,
Generalsekretär: Dr. Hermann Kamp,
Schatzmeister: Helmut Terstiege,
Bundestrainer: Katsuaki Asai.
Um mehr Transparenz für das Wort "Aikikai" zu erlangen, wurde später der Zusatz "Fachverband für Aikido" dem
Namen hinzugefügt. Der bis heute gültige offizielle Name des Verbandes lautet: "Aikikai Deutschland, Fachverband
für Aikido e.V."
Beim Ausländeramt in Münster flatterte eine Anfrage herein, ob gegen einen dort gemeldeten Japaner Katsuaki
Asai etwas vorliege. Es lag aber nichts vor. Dem Sachbearbeiter im erwähnten Ausländeramt kam die Anfrage
offenbar so merkwürdig vor, dass er einen ihm bekannten Münsteraner, der dem Aikikai Münster angehörte, anrief
und um Information bat. Die bekam er. Asai Sensei zahlte seine Steuern und der ganze Behördenvorgang wurde sehr
schnell als ein Versuch ihm und damit dem Aikikai Deutschland das Wasser abzugraben enttarnt. Die ganze Aktion
erwies sich sogar als eine Art Rohrkrepierer. Denn nun setzte das Präsidium des Aikikai Deutschlands beim
Ausländeramt des Landes Nordrhein-Westfalen mit einem Antrag nach, die Aufenthaltgenehmigung auf ganz Deutschland
auszudehnen. Der Antrag wurde genehmigt, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil das Ausländeramt in Münster eine
Empfehlung aussprach und Asai Sensei mittlerweile eine Deutsche geheiratet hatte.
1970 bekam der Aikikai Deutschland plötzlich Luft. Das Trommelfeuer seitens der Sektion Aikido im DJB hörte
plötzlich auf. Statt dessen bombardierte Rolf Brand beinahe wöchentlich die Vereinsleitungen der Vereine, wo
Aikido betrieben wurde, mit Anschuldigungen gegen den Vorstand des DJB. Als Mitglied im zuständigen
Landessportbund meldete mein Verein natürlich auch die Zahl der Mitglieder im Aikido, was sich für die Sektion
Aikido im DJB sozusagen anonym auszahlte. Dem Versender der Post blieb allerdings so verborgen, wer in meinem
Verein Aikido leitete. Der Vorsitzer meines Vereins überreichte mir jedes Mal die dicken Umschläge, gefüllt mit
Papier, mit den Worten: "Muss der eine Zeit haben".
Was war geschehen? Der Vorstand des DJB war nicht bereit, dem Sektionsleiter Aikido die volle Macht im Bereich
Aikido zu geben. Es entspricht nicht dem Charakter Rolf Brands, die Bedeutung seiner Persönlichkeit derartig
zurückgesetzt zu sehen. Der Bruch mit dem DJB war also vollzogen. Er gründete mit Gleichgesinnten den Deutschen
Aikido Bund (DAB). Mehr als 2/3 der Mitglieder der Sektion Aikido im DJB zog er mit sich. Von diesem Aderlass
hat sich die Sektion Aikido im DJB nicht mehr erholt. Sie verblieb in einer im Wachstum gehemmten Situation.
Mitglieder dieser Sektion träumten natürlich auch davon, einen eigenständigen Verband zu gründen. Das war aber
erst nach der deutschen Wiedervereinigung möglich. Der DJB "entließ" alle Budo Sektionen, weil er sich den
Judoverband der ehemaligen DDR einverleiben wollte. Die Sektionen waren das Faustpfand dafür.
Zunächst entbrannte eine heftige Fehde zwischen dem DAB und dem DJB, wer André Noquet als Cheftrainer übernehmen
darf. Dass er beide Gruppen weiter unterrichtete, war bei der ausgebrochenen Feindschaft zwischen DAB und dem
DJB nicht mehr möglich. Hier setzte sich Rolf Brand natürlich durch.
Der DJB versuchte nun seine Sektion dadurch aufzuwerten, dass bekannte Aikidolehrer eingeladen wurden, wie
Kobayashi Sensei aus Osaka, 8. Dan, inzwischen verstorben (nicht zu verwechseln mit Yasuo Kobayashi Sensei aus
Tokyo), Tohei Sensei, 10. Dan und Shimizu Sensei, 7. Dan, und andere niedrigere Dangrade. Im großen Ganzen waren
das Einmalauftritte. Tohei Sensei fand das Niveau der Praktizierenden so schlecht, dass er erklärte, er wolle
nicht mehr wiederkommen. Shimizu Sensei allerdings übernahm die Sektion Aikido als Trainer. Aus der Sektion
Aikido wurde nach der Auflösung der Sektionen im DJB der Verband mit dem Namen "Tendoryu", die Makoto
Shimizu - auch beim Honbu Dojo ausgebildet, aber nicht mehr mit ihm verbunden - als Shihan haben.
5. Vom Spaltungsvirus
Das Kapitel handelt von einer Krankheit, die in verstärktem Maße die Budo-Disziplin Aikido befällt.
1979 war ein Kongress der European Aikido Federation (EAF) in Zürich (Schweiz). Ein Jahr zuvor informierte der
Präsident der EAF, Monsieur Gonze, die Versammlung in Cannes, dass die World Aikido Headquarters (Honbu Dojo)
wünschte, dass die Europäer ein eigenes technisches System entwickelten. Er bezog sich auf ein Schreiben des
Honbu Dojos, in dem es einen solchen Vorschlag gemacht haben sollte. Das Schreiben wurde der Versammlung nicht
vorgelegt. Asai Sensei, der in Honolulu den Aikikai Deutschland vertreten hatte, konnte sich an einen solchen
Wunsch nicht erinnern, was er auch hartnäckig gegen den Präsidenten der EAF und Tamura Sensei vertrat. Nach dem
Kongress war er noch lange über dieses Ansinnen verärgert.
Das Honbu Dojo hatte in der Tat einen Brief an das Präsidium der EAF geschrieben. Es wollte jedoch etwas ganz
anderes. Es wollte, was man als Akt der Höflichkeit interpretieren muss, nur eine Stellungnahme. Das sollte der
Versammlung in Cannes aber ganz anders verkauft werden. Deshalb kam Shiba Sensei, damals general secretary des
Honbu Dojos, 1979 nach Zürich zum Kongress, um die Sache richtig zu stellen. Gleichzeitig organisierte er mit
Dr. Goldsbury, seinem Schüler aus England - heute Präsident der International Aikido Federation (IAF) - eine
Front gegen das damalige französisch-belgische Präsidium der EAF, der sich die Mehrheit der Mitglieds-Nationen
anschlossen. Beim Beginn der Diskussionen zum Thema stand Dr. Goldsbury auf und erklärte, dass das Präsidium der
EAF seine Mitglieder getäuscht hätte. Aber an Stelle der erwarteten Verteidigung stand das Präsidium auf und
verschwand.
Zuvor hatte Tamura Sensei noch eine herzerweichende Geschichte vom Haus des Vaters, das immer für seine Kinder
offen steht, erzählt. Aber offensichtlich konnten auch die anwesenden japanischen Aikidolehrer Tamura Sensei
nicht als einen Vater sehen.
Die Versammlung saß nun ohne ein Präsidium da. Ad hoc wurde ein Interimspräsidium gewählt, mit dem Ziel,
darauf hin zu wirken, den französisch-belgischen Teil zur Vernunft zu bringen und wieder zur Teilnahme zu
bewegen. Vergebliche Liebesmüh´. So wurde 1980 die Tatsache ausgenutzt, dass in Paris der Kongress der IAF
stattfand. Zu diesem Termin waren alle Vertreter der Mitgliedsnationen der IAF und der EAF in dieser Stadt, so
dass es sich anbot, ein neues Präsidium der EAF mit einer neuen Satzung zu wählen. Natürlich waren auch die
Franzosen und Belgier davon unterrichtet. Wir sollten doch wieder zusammenkommen. Aber Monsieur Chassang,
damals die "Graue Eminenz" hinter Tamura Sensei, drohte, uns von der französischen Polizei verhaften zu
lassen, sollten wir es wagen, die Versammlung auf französischem Boden abzuhalten. Daher fand die Versammlung in
der US-Botschaft in Paris statt. Dort hat die französische Polizei keinen Zutritt.
Die European Aikido Federation lebte nun in zwei Versionen fort. Die Mehrheit der europäischen Aikido-Verbände
hatte sich der in Paris neu formierten European Aikido Federation (EAF) angeschlossen, die Franzosen und Belgier,
welche die Bezeichnung FEA - Federation Européenne d´Aikido - bevorzugten (die Grande Nation kann schließlich
nicht anders), führten den ursprünglichen europäischen Verband so weiter, als wäre nichts gewesen. Die mühsam
in Frankreich gegründete Union Nationale d´Aikido (UNA), ein Zusammenschluss verschiedener Aikido-Verbände in
Frankreich, um die staatliche Anerkennung zu erhalten, zerfiel aber auch kurze Zeit später. Offenbar hatte sich
der Führungsanspruch der Tamura-Guppe hier auch nicht durchsetzen können. Die FFAAA - Federation Francaise
d`Aikido et Associations Alternative - gewann die Oberhand und schloss sich der neu formierten EAF an, nicht
zuletzt deswegen, weil sie nicht die Anerkennung (recognition) des Honbu Dojos besaß und sie mit der Unterstützung
des Europäischen Verbandes diese bekommen konnte und auch bekam.
Die Gruppe unter Chassang und Tamura Sensei versuchten nach der Spaltung der EAF in Zürich, Asai Sensei in
Deutschland, das Wasser abzugraben. Auch in anderen Ländern setzten sie die Aikidoleute unter Druck, mit ihrer
Organisation zusammen zu arbeiten. Sie fanden hier, wie anderswo, immer Leute, denen sie (schnelle) Graduierung
und Tamura Sensei als Lehrer versprachen. Diese Versprechen waren, genauer betrachtet, natürlich gar nicht zu
erfüllen. Die Verleihung von "Gefälligkeits-Danen" hat sehr schnell ihre Grenzen. Wenn die Graduierung allzu
fantastisch ist, lacht die ganze Welt nur darüber. Und die Lehrtätigkeit von Tamura Sensei - und das hat sich
sehr schnell erwiesen - wird dadurch begrenzt, dass das Jahr 52 Wochen und der Tag 24 Stunden hat.
Gleichwohl, in Deutschland entstand ein weiterer Aikido-Verband, der Freie Deutsche Aikido Verband (FDAV).
Tamura Sensei kam einige Male, streute Graduierungen und sandte sehr bald seine Schüler als Lehrer, die jedoch
nicht attraktiv genug waren, dass die Lehrgänge die Kosten deckten. Die Aktivitäten des FDAV reduzierten sich
im Laufe der Jahre so stark, dass sie kaum noch wahrzunehmen sind.
Es wird zwar immer wieder zu Recht betont, dass Aikido kein Sport ist - in einigen Ländern wird Aikido auch
unter Kultur geführt - aber überwiegend wird es, wie z.B. Judo, dem Sport zugerechnet. So ist z.B. die IAF
auch Mitglied in der General Association of International Sportfederations (GAISF). Das hängt damit zusammen,
dass man auf nationaler und internationaler Ebene beim Sport die beste Förderung für die Verbreitung und die
staatliche Unterstützung sieht. Alles drängt an die staatlichen Fleischtöpfe. Hin und wieder versuchen einige
nationale Verbände sich sogar um des schnöden Mammons willen, dem nationalen Olympischen Komitee anzuschließen,
was nun extrem gegen den Grundkonsens des Aikido - keine Wettkämpfe - verstößt. Denn Mitglied in einem nationalen
Olympischen Komitee können nur Wettkampfsportarten werden.
In den meisten Ländern gibt es eigene Ministerien für Sport. Steuergelder fließen hier direkt in anerkannte
Sportverbände, was allerdings bewirkt, dass die Einflussnahme des Staates in den Sportverbänden stark ist. In
Deutschland ist der Sport beim Bundesinnenministerium und bei den Ländern überwiegend bei den Länderinnenministerien
angegliedert. Die Gelder der Ministerien fließen hier zunächst einmal in die so genannten Sportbünde, die juristisch
eingetragene und gemeinnützige Vereine sind. Den größten Batzen bekommt natürlich der Deutsche Sportbund, der es
weitgehend für den so genannten Leistungs- und Spitzensport ausgeben soll, damit Deutschland (Prestigedenken!) in
der Welt nicht allzu mickrig dasteht. Im Wettbewerb der Nationen die gängige Praxis, überall. Die Landessportbünde
hingegen sollen sich finanziell dem so genannten Breitensport widmen, mit dem man natürlich nicht so viel Eindruck
wie mit dem Spitzensport schinden kann und der deswegen auch nicht so üppig bedacht wird. Alle Sportbünde sind
demokratisch strukturiert. Was anderes wäre in der Bundesrepublik Deutschland auch gar nicht möglich. Die Mitglieder
bestimmen über die Vorstandsposten, die Verteilung der Gelder und über Neuaufnahmen (und Rausschmisse). In diese
Sportverbände als Mitglied hineinzukommen, ist aber gar nicht so einfach. Zum einen herrscht hier die Mentalität
Schiff-brüchiger: Sitzt man erst einmal im Boot, brüllt man gleich mit: "Das Boot ist voll". Je mehr Insassen,
desto weniger Platz und Überlebenschancen. Nur, hier geht es nicht um Leben und Tod, sondern schlimmer, um die
finanziellen Rationen, die verteilt werden. Zum anderen haben die Sportverbände eine wirksame Bremse: Das
Einlochprinzip. Für jede Sportart wird nur ein Verband aufgenommen. Wenn sie das zwar auch nicht konsequent
einhalten - Der DSB hat z.B. den ADAC und den AvD als Mitglieder - er verteidigt das mit Zähnen und Klauen. Es
hat hierzu bereits Prozesse bis zum Bundesgericht gegeben. Da das Bundesgericht aber festgestellt hat, dass der
DSB wegen seiner Monopolstellung alle Sportler aufzunehmen hat, haben die Sportbünde hier eine etwas nachgiebigere
Haltung eingenommen. Wenn es gar nicht anders geht, müssen "Dachverbände" gegründet werden, notfalls mit Druck und
Mitwirkung der Sportverbände. Das Einlochprinzip, welches bei Wettkampfsportarten durchaus Sinn macht, bei
assoziierten Verbänden ohne Wettkämpfe, wie z.B. beim Aikido, jedoch nicht sinnvoll ist, erfordert festgelegte
Aufnahmebedingungen. Gerade diese wurden durch Bemühungen der verschiedenen Aikidoverbände um Aufnahme in die
Sportbünde erst so richtig verschärft.
Der DAB und der Aikikai Deutschland e.V. bemühten sich Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts um Aufnahme in den
DSB als außerordentliche Mitglieder (Verbände mit besonderen Aufgaben). Der DSB forderte einen Dachverband im
Aikido, der sich 1989 auch unter dem Namen Dachverband Deutscher Aikidoverbände (DDAV) gründete. Mitglieder waren
der DAB, die Sektion Aikido im DJB und der Aikikai Deutschland e.V.. Ein Antrag dieses Dachverbandes auf Aufnahme
wurde aber vom DSB zurückgewiesen. Als Begründung schob der DSB neue Aufnahmebedingungen nach, in der
Mindestmitgliederzahlen von 10.000 genannt wurden, die vom DDAV damals nicht erreicht wurden. In meinen Augen ein
widerrechtliches Verfahren. Die Ablehnung kam überraschend, hatte sich doch der DSB zuvor als hilfsbereit gezeigt.
Was den Umschwung im Verhalten des DSB bewirkte, kann nur vermutet werden. Möglicherweise befürchtete der DJB
über seine Sektion Aikido im DDAV nur eine Nebenrolle einzunehmen und hat als Mitglied des DSB die Aufnahme des
DDAV hintertrieben. Der DDAV zerfiel danach. Der erste Verband, der seine Mitgliedschaft kündigte, war bezeichnender
Weise der DJB.
Jeder Aikidoverband konnte sich jetzt überlegen, ob er den langen Marsch durch die gerichtlichen Instanzen antreten
wollte. Auf einer Versammlung der Landesverbände in Meppen wurde das für den Aikikai Deutschland e. V. abgelehnt,
hingegen verfolgte der DAB diesen Weg konsequent bis zum Bundesgericht, wo der DSB mit seiner Argumentation nicht
durchdringen konnte. Als Laien in Sachen Aikido mussten sich die Vertreter des DSB natürlich auf die Argumente
verlassen, die ihnen ihr "sachkundiges" Mitglied vorgab. Das Hauptargument, Aikido sei keine eigenständige Sportart,
stand natürlich von Anfang an auf wackeligen Füssen und war letzten Endes wohl auch der Grund für die gerichtliche
Niederlage bei der höchsten Instanz in Deutschland. Der DAB vertritt seither auch allein Aikido im DSB, obwohl er
international isoliert dasteht. Der Aikikai Deutschland e.V. ist Mitglied sowohl in der EAF als auch in der IAF,
die wiederum Mitglied in der GAIF und der International World Games Association (IWGA) ist.
Bei den Landessportbünden in Deutschland haben sich dort, wo die Aufnahmebedingungen erfüllt werden
konnten - jeder Landessportbund hat natürlich, wie sollte es in der deutschen Kleinstaaterei auch anders sein,
eigene - die zuständigen Landesverbände des DAB eingenistet, mit Ausnahme von Bayern. Hier vertritt der Fachverband
für Aikido in Bayern (FAB) Aikido im Bayrischen Landessportbund. Der FAB ist ein Dachverband für alle
Aikido-Trainingsgemeinschaften in Bayern mit Sektionen der Verbände, in dem der DAB aber nun wiederum nicht mitwirkt.
Auch in anderen Bundesländern haben sich Fachverbände für Aikido außerhalb der Landesverbände des DAB gebildet,
die sich in einem Bundesverband für Aikido in Deutschland (BAD) zusammengeschlossen haben, mit dem Ziel, alle
Aikidoverbände der Länder und des Bundes in Dachverbänden zusammen zu fassen. Dieser Prozess ist noch in der
Entwicklung und verläuft zäh, da der DAB, dort wo er in den Spotbünden Mitglied ist, seinen Alleinvertretungsanspruch
als Prestigefrage ansieht.
Wir verfolgen aber nach diesem Abstecher in den verworrenen Zoo der deutschen Aikidoverbände weiterhin die erfolgten
Spaltungen. Die Aikido-Trainingsgemeinschaften im Aikikai Deutschland e.V. waren und sind zum Teil kommerzielle
Schulen, zum Teil gemeinnützige, eingetragene Vereine oder Abteilungen solcher. Insbesondere die Danträger, welche
kommerzielle Aikidoschulen betrieben, fühlten sich unterbewertet, was sie als geschäftsschädigend betrachteten.
Zwei Dinge empfanden sie als sehr störend: Den langsamen Aufstieg ihrer Graduierungen und das Fehlen von
Graduierungsrechten. Vom Geschäft wurde allerdings nicht geredet, stattdessen hörte man euphemistische Begriffe
wie "Verantwortung für meine Schüler" und "Bewahrung ihrer Autorität", wie man es sonst von Politikern gewohnt ist.
Eine neue Abspaltung erfolgte mit der Gründung des Bundes Deutscher Aikidoschulen (BDAS). Obwohl vom BDAS in der
Folge erstaunliche Mitgliedzahlen genannt wurden, war die wirkliche Mitgliederzahl des Verbandes gering. Denn
Mitglieder im BDAS waren allein die Dojobesitzer oder die Dojoleiter. Aber auch die Dangrade stiegen schnell. Für
Asai Sensei war diese Spaltung allerdings ein harter Schlag, weil viele der Abtrünnigen zu seinen ältesten
Schülern gehörten.
Für den Aikikai Deutschland e.V. war allerdings diese letzte Spaltung auch der Start eines Prüfungs-Komitees.
Wie es auch in den International Regulations des Honbu Dojos gefordert wird, begann die Ausbildung von
Fukushidoin. Diese dürfen im eigenen Dojo bis zu dem ihnen erlaubten Grad Prüfungen abnehmen und bei Prüfungen
mit Asai Sensei durch Teilnahme ihre Prüferfähigkeiten verbessern. Was allerdings auffiel: Einige hoch graduierte
japanische Shihan konnten ihre Schadenfreude über die "Revolte" einiger Schüler Asai Senseis kaum verbergen,
hatten sie doch schon zuvor voller Neid auf seinen Erfolg in Deutschland, Schüler anzuziehen, geblickt. Kein
schöner Zug angesichts des in Sonntagsreden immer wieder verkündeten "Friedens" und der "Harmonie" im Aikido.
Man sollte nicht glauben, dass der Spaltungsvirus nur "westliche" Kulturen oder Zivilisationen befällt. Auch in
Japan und auch zu Lebzeiten O'Senseis war er virulent. Es ist eben ein menschliches Phänomen, bei Staaten,
Religionen und Sekten und anderen Vereinigungen zu beobachten, manchmal mit katastrophalen Folgen.
In vergangenen Jahren ist ein wachsender Einfluss von Christian Tissier Sensei und Endo Sensei in Deutschland zu
beobachten. Das führte zur Gründung eines weiteren Verbandes, der "Aikido Föderation Deutschland" (AFD ), in
der beide Sensei wirken.
Sozusagen unter den Augen von Doshu hat ein anderer japanischer Shihan, ein direkter Schüler O'Senseis, eine
eigene internationale Federation errichtet, die sich den Namen "Takemusu Aikido" (TA) - was man frei
mit "kreatives" Aikido übersetzen kann (Japaner drücken sich allerdings gern von einer übersetzten
Definition) - gegeben hat. Wenn die Mitglieder dieser Organisation - es gibt auch einen deutschen Ableger - von
Doshu sprechen, dann meinten sie bis zu seinem Tode Morihiro Saito. Viele Jahre lief diese Organisation ambivalent
als dem Aikikai zugehörig und eigenständig. So konnten die Anhänger des TA eigene und Aikikai-Dane erwerben.
Unter dem 3. Aikido-Doshu Moriteru Ueshiba ist die Trennung vom Aikikai aber vollzogen worden.
Im DAB vollzog sich um die Jahrtausendwende eine erneute Spaltung. Der Verband wollte offenbar nicht mehr der
Linie ihres langjährigen Vorsitzenden Rolf Brand folgen, woraufhin eine neue Vorsitzende gewählt wurde. Das
wiederum führte unter Leitung von Rolf Brand zur Bildung einer "Aikido Union Deutschland (AUD)", der sich
Trainingsgemeinschaften aus dem DAB anschlossen. Interessanter Weise gab sich die AUD eine viel liberalere
Satzung als der DAB ursprünglich besaß. Auch hier wurde zumindest auf dem Papier eine teilweise Öffnung zu
anderen Aikidoverbänden zugelassen. Der oben bereits erwähnte Dachverband BAD, der eine Sammlung aller in
Deutschland wirkenden Aikidoverbände anstrebt, um, bei Wahrung aller Selbständigkeit seiner Mitgliedsverbände,
eine Gesamtvertretung des Aikido beim DSB zu erreichen, hat sowohl beim DAB als auch bei der AUD bisher
keinen Erfolg gehabt. Die AUD war allerdings zu einer weiteren Dachverbands-Schachtelung bereit: BAD und
AUD sollten nach deren Vorstellung einen Dachverband der Dachverbände gründen, der dann die Vertretung des
Aikido beim DSB übernehmen soll. Solche durchsichtigen Machtspielchen rufen eigentlich nur Heiterkeit aus. Das
geht eigentlich über alles hinaus, was man von Seiten der Politik bereits gewöhnt ist.
6. Herausragende Ereignisse im Aikikai Deutschland e.V.
Der Aikikai Deutschland feierte 1975 sein 10-jähriges Bestehen mit der offiziellen Bezeichnung: "10 Jahre
Aikido in Deutschland". Die Feierlichkeiten fanden in der Philipshalle in Düsseldorf statt. Auf Einladung kamen
Doshu Kisshomaru Ueshiba mit Waka Sensei Moriteru Ueshiba (heute der 3. Doshu) und Suganuma Sensei als Uke von
Doshu aus Japan, die in Europa lebenden japanischen Sensei Tamura aus Frankreich und Chiba aus Großbritannien.
Zusammen mit Asai Sensei und seinen Schülern wirkten sie bei der Aikido-Vorführung in Düsseldorf mit. In Köln
im alten Bushido Dojo auf der Ehrenstraße waren sie Lehrer beim begleitenden Lehrgang zur 10-Jahresfeier.
Seit 1976 war Asai Sensei "Assistant Technical Adivisor" der IAF. Nach der Spaltung der EAF 1980 (s.o.) fühlte
er sich in diesem Amt verantwortlich für einen Versuch, die Abspaltung der frankobelgischen Gruppe unter Tamura
Sensei zu überwinden. Er setzte den Hebel bei den japanischen Instruktoren an. Zu Pfingsten in den Jahren 1981
bis 1984 lud er alle in Europa lebenden Aikidolehrer zu einem 3-tägigen Lehrgang nach Köln in das alte Bushido
Dojo ein. Die Idee war, dass sich unter ihnen und besonders mit Tamura Sensei genügend Zeit fände, um eine
Lösung der Probleme zu finden.
Aus Italien kamen die Sensei Hosokawa und Fujimoto, aus Spanien Kitaura Sensei, aus der Schweiz Ikeda Sensei,
aus Großbritannien Kanetsuka Sensei, aus Schweden Ichimura Sensei und aus Österreich Iwamoto Sensei. Sie alle
waren bei den Lehrgängen als Lehrer tätig. Auch Tamura Sensei kam 1981 bis 1983, betrat aber die Matte nicht.
Die Gespräche mit ihm verliefen ergebnislos. Auch die Tatsache, dass alle japanischen Aikidolehrer in Europa
gegen ihn standen, beeindruckte Tamura Sensei offenbar nicht. Er war der Höchstgraduierte (8.Dan) und alle hatten
ihm zu folgen. Als beim 4. Treffen Tamura Sensei gar nicht mehr erschien, sagte Asai Sensei im Einvernehmen mit
den anderen japanischen Aikidolehrern weitere Pfingstlehrgänge in dieser Form ab. Viele Aikidoka aus Deutschland,
aber auch aus anderen europäischen Ländern, bedauerten das in der Folge immer wieder sehr. Noch Jahre später
hörte man immer wieder von diesen "wundervollen" Lehrgängen sprechen. Man sollte jedoch nicht übersehen, dass die
japanischen Aikidolehrer Pfingsten häufig andere Verpflichtungen hatten und dass ihre Teilnahme weitgehend auf
eigene Kosten erfolgte.
In den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es von der EAF noch einmal einen Versuch zur "Wiedervereinigung"
der EAF und der FEA. Die FEA war inzwischen in Frankreich zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken, und zumindest
von ihrem Vorstand waren Bemühungen, zusammen zu kommen, vorhanden. Aber dieses Mal wurden alle Versuche von der
FFAAA (Federation Francaise d´Aikido et Alternatives) abgewürgt. Die FFAAA sah die FEA bereits verenden. Außerdem
wünschte die FFAAA keinen Kontakt mit dem "Aikido Libre", welches die Gefolgsleute von Tamura Sensei umfasst.
1983 fand der Kongress der EAF in Meppen statt. Zusammen mit ihm lief ein Aikidolehrgang, bei dem folgende
japanische Lehrer aus Europa unterrichteten: Die Sensei Asai, Kitaura, Ikeda, Ichimura, Kanetsuka und Iwamoto.
Die stärkste Gruppe der Ausübenden stellte natürlich Deutschland, aber die Niederlande, Belgien, Frankreich,
Großbritannien und Italien stellten zum Teil zahlreiche Gruppen.
Das Fest "20 Jahre Aikido in Deutschland" wurde wieder in Düsseldorf begangen. Der Lehrgang und die Aikido
Vorführungen fanden in der Konrad Henkel Sporthalle statt. Sie wurde vom Stadtsportamt Düsseldorf dem Aikikai
Deutschland e.V. zur Verfügung gestellt. In dieser großen Halle konnte das Training parallel für Anfänger und
Fortgeschrittene aufgeteilt werden, da sie durch einen Plastikvorhang, der herunterzulassen ist, aufgeteilt
werden kann. Als Lehrer waren damals eingeladen: Doshu Kisshomaru Ueshiba und die Sensei Kobayashi, Miyamoto
(auch Uke von Doshu), Hatayama aus Japan; aus Belgien kam Sugano Sensei, aus Deutschland Asai Sensei, aus der
Schweiz Ikeda Sensei, aus Spanien Kitaura Sensei, aus Schweden Ichimura Sensei, aus Italien Fujimoto und
Hosokawa Sensei, aus Großbritannien Kanetsuka Sensei. Um Doshu seine Aufwartung zu machen erschien auch Tamura
Sensei. Er beteiligte sich aber weder an den Vorführungen noch am Lehrgang. Sugano Sensei hingegen beteiligte
sich als Lehrer am Lehrgang, obwohl er in Belgien bei den Trainingsgemeinschaften unterrichtete, die sich (s.o.)
von der EAF mit Tamura Sensei an der Spitze abgespalten hatten. Von allen wurde das als sehr positiv bewertet.
Auch Noro Sensei, der viele Jahre in Deutschland Aikido unterrichtet hatte, gab bei den Vorführungen eine
launige Vorstellung seiner von ihm entwickelten Disziplin "Kinomichi" (Der Weg des Ki), die viele gymnastische
Elemente des Aikido enthält. Noro Sensei und Asai Sensei wurden in Europa dicke Freunde. Noro Sensei begann in
Paris mit Aikido, bevor er dort mit Kinomichi begann. Er hat auch in Deutschland Anhänger, die in
Trainingsgemeinschaften organisiert sind. Viele Aikidoka bewundern Noro Sensei wegen seiner geschmeidigen
Körperbewegungen.
Im 3. Programm WDR gab Doshu mit Miyamoto Sensei als Uke eine Vorführung mit Grundtechniken. Der Aufnahmeort war
das WDR Studio in Köln. Die Zeitdifferenz zwischen dem Trainingsende und dem Sendebeginn war allerdings kurz.
Die Fernsehanstalt sandte einen Fahrer mit einem leistungsstarken Mercedes, der in Düsseldorf die vier Personen:
Doshu, Asai Sensei, Miyamoto Sensei und mich - aufnahm und über die Autobahn dann mit einer Geschwindigkeit, die
der Wagen hergab (240km/Std.) nach Köln raste. Besonders für die Besucher aus Japan war diese Geschwindigkeit
eine ganz neue Erfahrung. Die Gespräche verstummten, Doshu klammerte sich an den Handgriff oberhalb der Tür und
auch Asai Sensei löschte seine Zigarette. Damals war er noch kein Kamikaze-Fahrer und diese Geschwindigkeit war
auch ihm fremd. Ich saß in der Mitte auf dem Hintersitz, einen Sicherheitsgurt in der Mitte hinten hatte der
Wagen nicht, und ich bereitete mich auf den Abflug durch die Windschutzscheibe vor. Zum Glück landeten wir
alle unversehrt im Kölner WDR-Gebäude.
Obwohl Aikido kein Wettkampfsport ist, wurde die IAF doch Mitglied in der General Association of International
Sports Federations (GAISF) und deren Unterorganisation International World Games Association (IWGA). In der
GAISF und IWGA sind die "Nichtolympischen" Sportarten vertreten, in denen Aikido bei den Rekreations-Sportarten
angesiedelt wurde. Lange Jahre ließen die Verantwortlichen der IAF die Chance verstreichen, an den World Games
teilzunehmen. Statt dessen wurde das Prinzip NATO verfolgt: "No action, talking only". Als aber die World
Games 1989 in Karlsruhe stattfinden sollten, nahm der Aikikai Deutschland e.V. die Chance wahr, das erste Mal
die Teilnahme des Aikido zu organisieren. In der Europahalle in Karlsruhe war die Aikidovorführung unter den
Augen von ca. 4000 Zuschauern. Viele Danträger aus aller Welt und nicht zuletzt Doshu nahmen an den Vorführungen
teil. Der begleitende Lehrgang fand in der Sporthalle der Technischen Universität Karlsruhe statt. Die Lehrer
waren Doshu, Fujita Sensei, Asai Sensei, Ikeda Sensei, Fujimoto Sensei, Miyamoto Sensei, Hatayama Sensei und
Tissier Sensei. Auf der Wiese des Geländes konnten die Teilnehmer zelten. Öffentliche Einrichtungen stellen
sich heute dar, als wären sie Privatfirmen mit Preislisten und mit dem Recht, Steuermittel zu verbraten. So
erscheint es wie eine Mär von einem anderen Planeten, dass die TU Karlsruhe ihre Einrichtungen umsonst zur
Verfügung stellte. Der Lehrgang ging gerade so ohne Defizit aus, das vom Aikikai Deutschland e.V. zu tragen
gewesen wäre. Das war nur möglich, weil Asai und Hatayama Sensei auf ihre Honorare verzichteten.
Anders als die Stadt Den Haag, wo vier Jahre später die World Games stattfanden, hatte sich die Stadt
Karlsruhe mit Rahmenveranstaltungen an dem Ereignis beteiligt, die von den Bewohnern der Stadt und des Umlandes
gut besucht wurden. Es gab rund um den Stadtgarten Theateraufführungen, Musikgruppen, eine Artisten- und eine
Bauchtanzgruppe. Kurz gesagt, es war auch sonst abseits von den sportlichen Veranstaltungen `was los in
Karlsruhe. Und auch das Wetter spielte mit. Es war warm und sonnig. Die World Games in Karlsruhe waren für die
IAF eine Art Augenöffner. Von diesen World Games an betrachtete die IAF die Organisation der Beteiligung an den
folgenden World Games als ihre Aufgabe. Sie handelte sich allerdings damit auch viel Ärger mit den finanziellen
Belastungen ein, wie sich bei den World Games 1993 in den Haag zeigte. Die Stadt, die aus ihrem Vertrag mit der
IWGA nicht mehr herauskam, fuhr ein finanzielles Minimalprogramm und die Mitgliedsorganisation der IAF in den
Niederlanden - Nederlandse Culturele Aikido Federation (NCAF) - wollte und konnte die anfallenden Kosten nicht
übernehmen. Die finanziellen Forderungen der NCAF zogen sich durch die nächsten Kongresse der IAF, bis sich das
Präsidium der IAF entschloss, seine Schulden bei der NCAF durch Abstottern über die Mitgliedsbeiträge des
Niederländischen Verbandes zu begleichen. Das Bezahlsystem "Vatikan" funktioniert eben nicht überall.
Die "30-Jahrfeier Aikido in Deutschland" war in jedem Sinne außergewöhnlich. Lehrgang und Vorführungen fanden
in der Leichtathletik-Sporthalle am Rheinstadium in Düsseldorf statt. Die Halle ist für Wettkämpfe konzipiert
und hat die nötigen Ausmaße mit einer großen Zuschauertribüne. Die Halle war innerhalb der Laufbahnen mit
Tatamis gefüllt. Es waren 2200 m2, Abmessungen, die Anwärter für das Guinness Book der Rekorde sind. Zum
Training kamen mehr als 1000 Menschen. Auf verschiedenen Sektionen der Gesamtmatte unterrichteten Doshu
Kisshomaru Ueshiba und die Sensei Tada (Japan), Kobayashi (Japan), Asai (Deutschland), Ikeda (Schweiz),
Fujimoto und Hosokawa (Italien), Kanetsuka (Groß Britannien), Yokota (Japan, auch Uke von Doshu). Noro Sensei
zeigte Kinomichi. Seine Vorführung verband er mit einer großen Laudatio auf seinen Freund Asai Sensei, mit
dem er zur Ausführung einiger Aikidotechniken überging, wobei er zeigte, dass er Aikido nicht verlernt hatte.
Auf dem Diner wurde eine Klavier- Sonate von Beethoven (Op. 49, Nr. 2) und ein Solostück für Piccoloflöte
dargeboten. Auf der allgemeinen Party, die bis in den frühen Morgen dauerte, gab es Tanzvorführungen,
Bongogetrommel und spaßige Sketche von der Aikidogruppe aus Rosenheim, bei denen auch Asai Sensei nicht
verschont wurde. Zum Tanz spielte eine exzellente Combo auf, die alle Tanzarten spielen konnte. Noro Sensei
kam beim Tango tanzen voll auf seine Kosten. Seine Frau und er waren darin ein eingespieltes Paar. Asai Sensei
hatte zuvor Tanzkurse absolviert und hatte seine Partnerin aus diesen Kursen mitgebracht. Das erste Mal, dass
seine Schüler ihn mit solchen Bewegungen sahen.
Im Jahr 2005 kamen die World Games wieder nach Deutschland, dieses Mal nach Duisburg unter Beteiligung der
Nachbarstädte Oberhausen und Mülheim an der Ruhr. Von der Organisationsleitung wurde der IAF die Rhein-Ruhrhalle
in Mülheim zur Verfügung gestellt, in der der Aikikai Deutschland e.V. vom 22. bis 24. Juli einen begleitenden
Lehrgang organisierte. Im Ablauf des Lehrganges fügten sich die Vorführungen der IAF am 23. Juli harmonisch ein.
Am gleichen Tag feierte der Aikikai Deutschland e.V. 40 Jahre Aikido in Deutschland und Asai Sensei sein 50-jähriges
Berufsjubiläum. 1955 begann er als 13-jähriger sein Training bei O'Sensei. Auch die Party zu diesen Jubiläen
wurde in der Rhein-Ruhrhalle in Mülheim abgehalten. Anders als 1989 in Karlsruhe war weder in Duisburg noch in
Mülheim im Stadtbild etwas von den World Games zu bemerken, wenn man einmal vom Menschengewimmel vor den Sportzentren
absieht. Dafür aber schlugen hier Kommerz und Bürokratie heftig zu. Die Rhein-Ruhrhalle musste gemietet werden und
bei den Vorführungen wurde (wie Karlsruhe auch) von den Zuschauern Eintritt gezahlt. Überwacht wurden alle Eingänge
von Aufsichtspersonen, die mit einer bunten Ausweiskarte am Band um den Hals kenntlich gemacht worden waren. Das
große Vorbild der World Games sind die Olympischen Spiele. Das geht bis zur Nachahmung der Bürokratie. Allen
Teilnehmern werden so genannte Akkreditionskarten mit Lichtbild ausgestellt, die sie sich mit einem Band um den
Hals hängen müssen. In Karlsruhe konnte das umständliche und Zeit raubende Verfahren dadurch leicht umgangen
werden, dass die Teilnehmer an der Aikidovorführung vom Generalsekretär der IWGA Eintrittskarten bekamen. Für
die Rhein-Ruhrhalle, in der ja zusätzlich noch ein dreitägiger Lehrgang stattfand, bekamen Lehrgangsteilnehmer
und Teilnehmer an den Vorführungen am Sonnabend einen lila lackierten Daumennagel. Die Teilnehmer an der
Vorführung allerdings konnten sich in Duisburg Wedau ihre Akkreditionskarte abholen. Angeblich. Wer das versuchte,
bekam die Auskunft, dass sie nach Mülheim verschickt worden wären. Dort sind sie aber nicht angekommen. Hier
wurde der Bürokratie-Ballon offensichtlich zu stark aufgeblasen. Zum Glück half hier der lackierte Daumennagel.
Die Frage muss allerdings doch gestellt werden: Wie viele Teilnehmer wären in die Rhein-Ruhrhalle in Mülheim an
der Ruhr wohl sonst zur Vorführung hinein gelassen worden?
Was bisher nicht bei den World Games geschehen war: Die Dopingkontrolle wurde auch auf die Mitglieder der IAF
ausgedehnt. Weil im Aikido keine Wettkämpfe stattfinden, ist das schlicht Unsinn und kostet überdies auch noch
Geld, das man für andere Zwecke doch gut gebrauchen könnte. Eine zur Teilnahme an der Vorführung bei den World
Games in Mülheim gemeldete Person soll gesperrt worden sein, weil die betreffende Person positiv getestet worden
war. Wie man hört, nahm die Person Medikamente, welche das Testergebnis erbrachten. Hier waltete die
Rasenmäher-Methode des begrenzten Denkens.
Beim Lehrgang waren ca. 1500 Teilnehmer erschienen. Die zentrale Mattenfläche umfasste aber nur knapp 1500 qm.
Daher wurden die Teilnehmer in 3 Gruppen aufgeteilt. Die erste Gruppe blieb auf der zentralen Mattenfläche, die
2. Gruppe ging in das "kleine Dojo", das ca. 700m2 Mattenfläche umfasste, und die dritte Gruppe trainierte mit
Jo oder Bokken auf der überdachten Terrasse der Halle.
Als Lehrer waren verpflichtet: Doshu Moriteru Ueshiba, Yasuo Kobayashi Sensei, Katsuaki Asai Sensei, Yoji
Fujimoto Sensei, Tsuruzo Miyamoto sensei, Kengo Hatayama Sensei, Christian Tissier Sensei.
Am Sonntag, dem 24. Juli, unterrichtete Doshu die Danträger.
Aus 12 Nationen hatten sich Teilnehmer zur Vorführung am Sonnabendnachmittag, dem 23. Juli, gemeldet. Roland
Hofmann, Präsident des Aikikai Deutschlands e.V., eröffnete die Aikidovorführungen und der General Secretary der
IAF, Hiroshi Somemiya sprach das Grußwort des internationalen Verbandes. Mit einem Schlag auf die Taiko begannen
die Vorführungen. Die Kinder, die aus verschiedenen Orten Deutschlands zusammengekommen waren, begannen zur
Freude des Publikums, das dicht gedrängt auf den Plätzen saß und auf dem oberen Rundlauf stand. Es war
überwiegend fachkundiges Publikum, das besonderen Darbietungen tosenden Applaus schenkte. Die Gruppe aus der
Republik China (Taiwan) stach wie immer durch den etwas andersartigen Stil mit den vielen Drehungen hervor,
besonders auch weil der nunmehr 85-jährige Lee Sensei eine kurze Demonstration gab. Die Höhepunkte waren
natürlich die Sensei, besonders Asai Sensei und Doshu.
Am gleichen Abend fand in derselben Halle die Party statt. Die Gäste tummelten sich auf dem oberen Rundlauf, auf
der Matte wurde barfuss getanzt, zu Füssen einer Band auf einem Podest. Sozusagen weit ab unten auf der Matte,
von manchem gar nicht wahrgenommen, bekam Asai Sensei seine Geschenke zu seinen Jubiläen. So fiel die Party wegen
der großen Abstände etwas auseinander. Es wurde in Grüppchen gefeiert, wobei der Andrang vor der Biertheke
natürlich am größten war. Mitglieder aus dem Karlsruher Dojo gaben Sketche auf der großen Hallenmatte, wobei
die Partygäste auf der Matte Platz nahmen.
7. Die Routine
Das jährliche Trainingsprogramm des Aikikai Deutschland e.V. ist reichhaltig. Asai Sensei gibt nahezu an jedem
Wochenende Unterricht an verschiedenen Orten in Deutschland. Das sind die so genannten Regionallehrgänge vom
Bundesverband. Bundeslehrgänge werden an und um Feiertage abgehalten: Ostern in Hamburg und eine Woche danach
in Karlsruhe, Pfingsten in Pulheim, Tag der Deutschen Einheit, Fronleichnam, Allerheiligen und zwischen
Weihachten und Neujahr. Hinzu kommen noch die Sommerlehrgänge in Pulheim und Bad Kissingen von Wochendauer,
die Ende Juli bis Anfang August stattfinden. An Pfingsten und bei den Sommer- und Winterlehrgängen unterrichten
neben Asai Sensei auch Gastlehrer. Beim Pfingstlehrgang und beim Winterlehrgang war bis vor kurzem Ikeda Sensei
Gastlehrer. Diese Rolle hat nun Fujimoto Sensei übernommen. Ikeda Sensei kann aus gesundheitlichen Gründen kein
Aikido mehr ausüben. Der harte Schicksalsschlag in seinem Leben wird von allen Mitgliedern im Aikikai
Deutschland e.V. mit Entsetzen und Trauer wahrgenommen. Bei den Sommerlehrgängen wechseln sich seit langem
Miyamoto und Hatayama Sensei als Gastlehrer ab. Sie kommen alternierend alle zwei Jahre nach Deutschland. Einmal
im Jahr, im Frühjahr, wird für Jo und Bokken ein Speziallehrgang angeboten, der an einem Wochenende stattfindet
und den Asai Sensei und Fujomoto Sensei als Lehrer bestreiten. Der Lehrgang um den Tag der Deutschen Einheit wird,
wenn er sich im Kalender an ein Wochenende anschließt, auf drei Tage ausgedehnt. Dieser Lehrgang ist dann allein
den Danträgern im Aikikai Deutschland e.V. vorbehalten. Manchmal kann aber auch Tada Sensei einer Einladung folgen.
Das ist bei diesem viel beschäftigtem Shihan (9. Dan) ein Glücksfall und leider nur selten der Fall. Dann bietet
sich der Termin um den Tag der Deutschen Einheit für ihn zu einem Lehrgang für alle an.
Nach 40 Jahren Aikido in Deutschland sind neben Asai Sensei Danträger bis zum 6. Dan gewachsen, die von einzelnen
Trainingsgruppen häufig auch eingeladen werden, das Training zu leiten. Die Übungsleiter der Trainingsgemeinschaften
werden von Asai Sensei auf einem jährlich einmal stattfindenden Übungsleiter-Lehrgang ausgebildet, der traditionell
im Februar läuft.
8. Der Ausblick
Heute ist Aikido schon mehr bekannt, obwohl die Budo-Sportarten mit Wettkämpfen wie Judo, Taekwondo und Karate
mehr Mitglieder aufweisen können. Das liegt ganz sicher daran, dass Aikido sich als eine mehr esoterische Disziplin
präsentiert. Da ist z.B. das Wettkampfverbot, das Außenseitern nur schwer zu erklären ist. Ebenso erscheint
manchen starken Burschen der "sanfte" Weg ins Aikido als wirkungslos, denn sie finden Kontakt über die
Selbstverteidigung, die sie zunächst als Knochenbrecher-Disziplin identifizieren. Daher findet man Aikido auch
nicht häufig im Fernsehen, wo mehr spektakuläre Darbietungen bevorzugt werden. Das ist, so will es mir erscheinen,
ganz und gar nicht ein Nachteil. Aikido erreicht Interessenten somit auf einem distinguierteren Weg. Explosiv
wachsende Mitgliederzahlen, wie sie z.B. in den 90-iger Jahren beim Tennis (Boris-Becker-Effekt) zu verzeichnen
waren, sind daher nicht beim Aikido zu erwarten. Das bewahrt Aikido vor einem Schlag ins Wasser. Ein großer Teil
der Aikido Ausübenden studiert diese Budo-Disziplin über einen langen Teil ihres Lebens, manchmal lebenslang. So
ein Verhalten kann man bei anderen Sportarten nicht finden. Hier offenbart sich ein großer Unterschied zu
gewöhnlichen, d.h. bekannten Sportarten. Dem Aikido bleibt somit eine treue Mitgliederzahl in jedem Fall erhalten.